KN (Kieler Nachrichten)
Montag, 8. Mai 1989 - Nr. 105

"Ich habe mal wieder kein C"

Köstlicher Spaß für Opernfreaks:
Tom Johnsons "Vier-Ton-Oper" im Kieler Studio

 

"Wie schön ist mein Thema", schallt es aus geschulter Kehle. "Und ich habe wieder mal kein C", klagt der Tenor. Des einen Freud, des andern Leid. Ja, so ist; das Leben auf der Bühne, ganz trivial wie überall. Ist es so?

Nein, so nun doch nicht. Der sonderbare Libretto-Text (übersetzt von Michael Leinert) stammt aus einem respektlosliebevollen Werkchen des Amerikaners Tom Johnson, das jetzt. im Kieler Opernstudio Premiere hatte, aus der Vier-Ton-Oper. Johnson, Jahrgang 1939, der viel für den Film. und für das Tanztheater geschrieben hat legt es darauf an, mit minimalistischer Finesse in die geheimen Regungen von Menschen einzudringen, die eine Aida-Inszenierung durchleben und durchleiden. Zwar währt die Belustigung nur eine kurzweilige Stunde (während Aida sich würdevoll hinzieht), aber diese sechzig (und ein paar) Minuten besitzen hohen Erkenntnis- und Unterhaltungswert- Sie ist ein parodistischer Spaß, diese Vier-Ton-Oper, und wie alle wirklich guten Späße, braucht sie viel geschickte Kunst, um zum vollkommenen Amüsement auszureifen.

,Vier-Ton"- Wirklich, es sind vier. Der helle Komponist treibt den Minimalismus der sechziger Jahre auf eine einsame Spitze (Phil Glass erscheint daneben als chromatisches Genie). Allerdings sind Höhen, Dauern, Rhythmen, Lautstärken (un)variabel - und irgendwie italienisch. Mary Beth Armes intoniert die auserwählten Vier, das Orchester ersetzend, auf dem Klavier. Überhaupt fungiert sie als die musikalische Seele des Spiels. Energisch treibt sie die Belkantisten in die Höhen und Tiefen ihres Metiers.

Wenig ist Tom Johnson heilig. Er bedenkt die ausgereizten Formen der italienischen Oper mit freundlichem Spott. die eitlen Arien, die schmematischen Imitations- und Variationskünste, die ach so kunstreich verschachtelten Trios und Quartette, die gravitätischen Triumphmärsche und das in steinerne Wehmut versinkende Aida-Finale.

Die gesungenen Texte handeln teils von diesen Formen ("Dies ist. ein Trio, ein Trio, ein Trio"), teils von dem, worauf sich die Protagonisten konzentrieren - zum Beispiel aufs Taktezählen oder auf das bloße Dastehen in unbequemer Haltung.

Valerie Errante als kapriziöser Sopran, Ellen Strba als unergründliche Contraaltistin (,Eigentlich bin ich ein Mezzo"), Tibor Toth als frustrierter Tenor (vorn Komponisten um die Schau gebracht), Roar Wik als stets heldenhafter Bariton und Elmar Oberhomburg als zutiefst seriöser Baß (der im tiefen Keller hängenbleibt): Sie alle kreieren zusammen mit den ägyptelnden Statisten in den witzigen Aida-Bildern Roswitha Thiels ein lustvolles Mini-Spektakel, das zu sehen und zu hören besonders den Verdi-Freaks zu empfehlen ist. Regisseur Matthias Nowack macht aus Herzenslust Theater auf dem Theater. Er zieht nicht nur die parodistische Trumpfkarte, sondern hievt, auch jede Menge Insider-Hohn auf die komödiantische Kleinbühne.

Oper, kein Zweifel, gehört zu den merkwürdigsten Erfindungen der Menschheit, aber auch zu den beliebtesten. Spott erfrischt sie wie ein Sommerregen. Gelächter und Beifall im Opernstudio: Applaus dem Stück und seinen Interpreten.

ROLF GASKA

 

HOLSTEINISCHER COURIER
vom 12.5.1989

Amüsante Premiere im Kieler Opernstudio

Sehnsucht nach dem hohen C

Wen bereits seit langem die Frage quält, wievieler Töne es in einer Oper bedarf, bekommt jetzt im Kieler Opernstudio eine klare Antwort: Vier sind es, nicht mehr und nicht weniger, zumindest nicht bei einem "Minimalisten" wie Tom Johnson, dem 1939 in Amerika geborenen Komponisten der ,Vier Ton Oper'. Bedient sich sein Kollege der Minimal-Art, Philip Glass, im Großen Haus des Großen Orchesters, so reduziert Johnson in seinem Studiowerk die musikalische Begleitung auf ein Klavier.

Eine Handlung im üblichen Sinne fehlt. Sie wird ersetzt durch Kommentare der Sänger über Kollegen, Inszenierung und Musik, bietet eine kleine Soziologie des Opernbetriebes, mit einem Blick auch hinter die Kulissen, auf das Miteinander und Gegeneinander von Opernschaffenden, von der divaresken Sopranistin bis zum nach dem hohen C lechzenden Tenor.

Als Handlungsvorlage nimmt die Kieler Aufführung eine Aida-Vorstellung durch eine kleine Operntruppe, amüsant inszeniert von Matthias Nowack, herrlich ausgestattet von Roswitha Thiel, temperamentvoll musikalisch geleitet von Mary Beth Arms, die auch trefflich das Klavier bedient. 16 nicht-singende Mitwirkende agieren auf, hinter und neben der Bühne, die beherrscht wird von Valerie Errante, Ellen Strba, Tibor Toth, Roar Wik und Elmar Oberhomburg. Nach 60 Minuten Spiel-, Hör- und Sehzeit zu kurzer Letzt ein beifällig amüsiertes Publikum. Im kleinen Opernstudio sichert nur rechtzeitiges Kommen gute Plätze.

Manfred W. Bier

SCHLESWIG - HOLSTEINISCHE LANDESZEITUNG
Dienstag, 9. Mai 1989

Verdi als Buhnenjux:
So wird' die Aida geschlachtet

Heidenspaß mit Tom Johnsons Parodie / Eine Vier-Ton-Oper als Kieler Studiopremiere  

KIEL. Was in den Köpfen von Sängern vorgeht, wenn sie ihre großen Opernpartien zelebrieren, wußte man hoher nur durch Theateranekdoten Der New Yorker Komponist Tom Johnson jedoch hat daraus eine ganze Kammeroper gemacht, aber nicht mit eigener Handlung, sondern als Aida-Parodie. Dabei wird Verdis Oper stellvertretend auf dem Altar des Bühnenjuxes geschlachtet.

Die Wahl gerade dieses Werkes hängt mit der Musik zusammen; denn den vier Buchstaben des Titels sollen vier Töne entsprechen, mit denen Tom Johnson ausschließlich den musikalischen Teil bestreitet. Nach Philip Glass stellt sich den Kielern damit ein zweiter Minimalist vor, der die Beschränkung noch weiter getrieben hat. Er benutzt nämlich als einziges Instrument das (einmal auch gezupfte) Klavier und er verzichtet auf Stützakkorde sowie auf die Terz, so daß sein begrenztes, aber erstaunlich variables Material kaum zu harmonischer Ruhe kommt. Das Insistieren auf einzelnen Tönen unterstützt die Wirkung des Textes, während die Tonfolgen überraschend exotisch klingen.

Der wahre Witz das Ganzen aber besteht darin, daß die Sänger sich zwar wie in du echten "Aida" bewegen, doch ihre eigenen Gedanken dazu singen. Ihre eigene Existenz schiebt sich dabei vor ihre Rolle. Das Bekenntnis der Amneris (in Kiel Ellen Strba) "Mein Leben ist Gesang, Singen ist höchste Lust" hört sich ja noch ganz erbaulich an, aber gleich danach heißt es schon: "Ach, wir haben keinen Einfluß auf solchen Quark."

Der Gegensatz von Aktion und Text treibt immer neue Blüten. Dabei werden die Akte und Szenen wie im Kaleidoskop durcheinandergewirbelt, und man könnte an seiner Opernkenntnis irre werden, stünden nicht auf dem Flügelpult von Kapellmeisterin Mary Beth Armes Schilder mit genauer Szenenangabe. Nur das traurige Ende des eingemauerten Paares ist auch hier Finale geblieben, bei dem die Sänger nach Vorschrift des Autors völlig bewegungslos bleiben müssen. Darüber beklagen sie sich denn auch sehr wortreich.

Dem jungen Regisseur Matthias Nowack ließ die Vorlage viel Freiheit und er hat sie gut genutzt. So erkennt man links und rechts neben dem nur von Mittelplätzen gut einzusehenden Guckkasten durch Mullvorhänge auch was zwischen den Auftritten geschieht Da deodoriert sich oder strickt die Sopranistin Valerie Errante bevor sie wieder auf der Bühne zu glasklaren Tönen ihren spöttischen Kommentar herausläßt. Und auch die Kulissenmimik des Tenors Tibor Toth alias Radames, bei dem sich stimmliches und körperliches Volumen die Waage halten, ist nicht zu verachten.

Beim Triumphmarsch bleiben die originalen Aida-Fanfaren stumm, die Kriegsbeute wird mit Spielzeugelefanten und Miniatur-Kampfwagen ebenso ins Lächerliche gezogen wie das mehrmalige Vorbeidefilieren derselben Statisten. Mit ägyptschen Kostümen und Requisiten hat Roswitha Thiel nicht gespart so daß auch alle optischen Register gezogen sind.

Was die Sänger über diese mit rauschendem Beifall aufgenommene Opernparodie denken, erfährt man allerdings auch wieder nicht. Für die Zuschauer aber, die eine Stunde lang auf harten Sitzstufen im Orchesterproberaum ausharren mußten wurde die Vier-Ton-Oper in doppeltem Sinne zu einer Vier-Buchstaben-Oper. Holde Aida!

Wolfgang Butzlaff

Historisches