Orpheus
12/13. Dezember 1992

Tecklenburg

FREILICHTSPIELE

DAS EWIG GRÜNENDE GRÜN

 

Hin und wieder weicht man bei den Tecklenburger Freilichtspielen von der alljährlichen, himmelblauer Operetten-Seligkeit ab - um sich der himmelblauen Musical-Seligkeit zu widmen.

Mit der Entscheidung für MY FAIR LADY hat man sich aber auf eine mutige Gratwanderung zwischen vielleicht (zu) hochgesteckten Publikumserwartungen und den begrenzten Möglichkeiten der Tecklenburger Freilichtbühne begeben. Nachdem Siegfried Grote über mehrere Jahre alleiniger Regisseur war, holte man sich nun den jungen MATTHIAS NOWACK aus Aachen, der sich der Probleme offensichtlich bewußt war. Entsprechend machte er in seiner Regiekonzeption gar nicht erst den Versuch, die "Fair Lady" in Tecklenburg als großes Ausstattungstheater zu spielen, sondern legte dafür viel Gewicht und Sorgfalt auf sprachlichen Feinschliff der Szenen um Eliza und Higgins.

Seine Protagonisten, beide neu in Tecklenburg, setzten das glänzend um: SABINE SCHMIDT-KIRCHNER war als Blumenmädchen Eliza Doolittle ein liebenswerter, charmanter Kobold voller Temperament und Schwung, hatte Herz und Schnauze auf dem rechter Fleck und traf den halb ordinären, halb treuherzigen Ton des Milieus sehr genau. Ihre Wandlung zur "Dame" geriet anrührend, weil sie nicht nur Stolz, sondern auch Verletzbarkeit zeigte. Auch gesanglich konnte sie die Rolle überzeugend gestalten.

Das gilt auch und besonders für MICHAEL FLÖTH als exzentrischem, blasiertem Sprachforscher Henry Higgins. Sprachlich sehr differenziert, mit Witz und Schalk zeichnete er nicht nur mit dem glänzenden "Bin ein Mann wie jeder Mann" ein farbiges Porträt des "eingefleischten Junggesellen", alles mit delikater Sprachbehandlung.

Als romantisch schmachtender Freddy Eynsford-Hill gefiel CHRISTIAN BAUMGÄRTEL mit lyrischem, angenehm timbriertem Tenor: ein jugendlicher Held, dem man die unbekümmerte Verliebtheit glaubte. Daneben bewährte sich das Tecklenburger Hausensemble mit seiner bekannten Spiel- und Einsatzfreude.

Der lebenslustige und trinkfeste Müllkutscher Alfred Doolittle war natürlich für den in unzähligen Tecklerburger Aufführungen gefeierten WALTER HOFFMANN so etwas wie ein "gefundenes Fressen".

FRED BANSE war der wackere, rechtschaffene Oberst Pickering, GERTRAUD ADEN die mitfühlende Mrs Pearce und MARGARETE SCHEUER die kummergewohnte Mrs. Higgins.

Ein Schwachpunkt der Tecklenburger Festspiele war schon immer der Chor, der in diesem Jahr vom Dirigenten CHRISTOPH HAAS nicht ganz sattelfest einstudiert wurde. Das Orchester hingegen zeigte sich, nach recht bedenklichem Beginn, seiner Aufgabe letztlich gewachsen. Christoph Haas jedenfalls sicherte der Aufführung einigen Schwung.

Die Zuschauer honorierten es mit herzlichem Beifall. Selbst Petrus konnte die gute Stimmung nicht mit kräftigen Gewitterschauern sabotieren ...
(22.8.).

- WOLFGANG DENKER -

 

 

Westfälische Nachrichten / Tecklenburg
vom 29.6.1992

Glanzvolle Premiere
vor ausverkauften Rängen

Musical "My Fair Lady" begeistert das Publikum /
Bravo-Rufe und "Standing ovations" / Farbenprächtige Szenen

Tecklenburg. Prachtvolle Hüte, wagenradgroß, glitzernde Kleider, gestelztes Ascot-Benehmen, schwankende Zecher, arme Blumenmädchen und echte Gentlemen - die ganze soziale Breite der Londoner Gesellschaft des Jahres 1912 erfüllt die Tecklenburger Freilichtbühne. Bei herrlichstem Sommerwetter hatte das Musical "My Fair Lady" am Samstagabend eine glanzvolle Premiere vor mit 2500 Zuschauern ausverkauften Burg. Am Schluß belohnten langanhaltender Applaus und Bravo-Rufe die Akteure: Standing ovations der Zuschauer.

Die Bühne ist vom ersten Takt des Orchesters unter Leitung von Christoph Haas mit prallem Leben erfüllt. Die Zuschauer sehen eine bunte Marktszene und Sabine Schmidt-Kirchner, als Eliza hat das Publikum von Anfang an auf ihrer Seite. Mit unnachahmlicher Kodderschnauze, schmutzigem Gesicht und derbem Charme bietet sie ihre Blumen an: "Nur zwei Schillinge!" - Professor Henry Higgins (gentlemanlike und leicht versnobt Michael Flöth), fanatischer Phonetiker seines Zeichens wird Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Oberst Pickering (äußerst sympathisch mit gezwirbeltem - Schnurrbart Fred Banse), ebenfalls Sprachwissenschaftler, und dem Blumenmädchen Eliza Doolittle. Das Gör aus der Gosse berlinert hinreißend um sein Recht, für Higgins jedoch klingt es wie das Quaken eines "gallenleidenden Frosches", es weckt aber auch seine wissenschaftliche Neugier. Er schließt mit Pickering eine Wette ab, aus der "Rinnsteinblume" in sechs Monaten eine Dame von Welt machen zu können.

Die Tecklenburger Inszenierung von Matthias Nowack überzeugt durch ihre Farbenprächtigkeit, durch Einfallsreichtum und ein umwerfendes Gesamtbild. Bei Elizas ""Wäre det nich' wundascheen?" kommt der ganze Chor zur Geltung, witzige Gestik, authentisch-bunte Kostüme (Sigrid Holthaus) und schwungvolle Choreographien (von Erszébet Pálmai-Orosz) machen gleich den Beginn des Stückes zum Genuß.

Das Stück lebt von Gegensätzen, offensichtlichen, wie etwa die Gegenüberstellung der feinen Londoner Gesellschaft und der abgerissenen, ärmlichen Unterschicht. Aussehen, Verhalten und natürlich die Sprache lassen die Unterschiede erkennbar werden. Auch weniger offensichtliche Kontraste werden ausgearbeitet. So sind die Wettpartner Higgins und Pickering stets verschiedener Meinung, wenn es darum geht, die Sprachschülerin Eliza angemessen zu behandeln. Der geduldige Pickering, ganz gemütlicher Lebemann, nimmt Eliza in Schutz, während Higgins streng und unbeirrt auf seinem harten Lernprogramm beharrt. Mit Erfolg, Eliza macht Fortschritte wer kennt es nicht, das berühmte "Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen!"

Im Gegensatz zu Elizas Karriere in Higgins Mahagoni-Interieur steht ihr Vater, der Müllkutscher Alfred P. Doolittle (Publikumsliebling Walter Hoffmann), der stets mit seinen Schergen Harry (Rolf-Dieter Lauper) und Jamie (Egon Klöntrup) auftritt. Laut und lärmend sind sie, die Geschöpfe der Straße, stets auf ein paar Schillinge für einen guten Schluck aus: "Mit 'nem kleinen Stückchen Glück" Doolittle beeindruckt Higgins 'mit seiner originellen Moral und ungeahnten rhetorischen Fähigkeiten, was ihm später sogar eine Erbschaft einbringt.

Elizas erster offizieller Auftritt beim Galopprennen in Ascot in der Loge von Mrs. Higgins (Margarete Scheuer) gerät zu einer Katastrophe. Dramaturgisch ist er jedoch ein Höhepunkt im Stück - köstlich ist der "Stuhl-Gänsemarsch" der Chorherren im grauen Cut, allesamt mit Fernglas. Die Damen beeindrucken durch phantasievolle Hüte und gekonntes snobistisches Benehmen. Hervorragend in dieser Szene ist auch die Tontechnik - das Geräusch galoppierender Hufe läßt die Zuschauer sich tatsächlich- auf der Rennbahn wähnen.

Die Burgbühne beweist wieder einmal ihre Flexibilität und atmosphärische Wandelbarkeit, wenn auch die klappbare Fassade von Higgins' Behausung einige technische Schwierigkeiten macht, die vom Publikum jedoch mit Schmunzeln und - nach Lösen des Problems mit Beifall - locker hingenommen werden.

Nach dem "Debakel von Ascot" das Higgins nur schwer verwinden kann, steht noch der Diplomatenball aus - Eliza - nun ganz Lady, triumphiert und verhilft dem' Professor zu seinem Wettgewinn. Ihre Sprache ist jetzt perfekt Ende alles gut?

Keinesfalls, denn Eliza fühlt sich zu Recht von dem kühlen Higgins, der nie Gefühle zeigt, ausgenutzt und verläßt ihn im Streit. Auch von ihrem Vater, der unerwartet zu Geld gekommen ist und nun unter die Haube gerät, wendet sie sich ab. Ein urkomisch inszenierter Song ist Doolittles "Bring mich pünktlich zum Altar!" - Sie ist entschlossen, Freddy Eynsford-Hill (jung und frisch: Christian Baumgärtel) zu heiraten, ein junger, mittelloser Adliger, der seit dem Derby in sie verschossen ist.

Das ehemalige Blumenmädchen ist diejenige, die am Schluß triumphiert und im Grunde allen überlegen ist - das Ende bleibt offen. Shaw selbst hätte Eliza Freddy heiraten' lassen, doch die Tecklenburger Eliza fühlt sich, auch zu Higgins hingezogen...

Mit "Standing ovations" bedankten sich die Zuschauer bei den Aktiven die alle für sich eine große Anerkennung verdienen, und nach fast dreieinhalb Stunden findet ein glanzvoller Theaterabend auf der Tecklenburger Freilichtbühne sein Ende.

Steffi Keppler

 

Westfälische Nachrichten, Münster
vom 29.06.92

Die Lady aus dem Rinnstein

Lerners Musical My Fair Lady" auf der Freilichtbühne Tecklenburg

Das Hochdruckgebiet garantierte Sommerwetter für die Premiere von Alan Jay Lerners Musical "My Fair Lady" am Samstag auf' der Freilichtbühne Tecklenburg: 2000 Zuschauer - die Parkplatznot war entsprechend und die Programme waren ausverkauft -erlebten einen jener zauberhaften Abende, die das Freilichttheater unverzichtbar machen. Entsprechend, gelöst und ohne besorgte Ausschau nach Regenwolken agierte das große Ensemble, und die Zuschauer gingen locker und begeistert mit. Das bittersüße Märchen vom Aufstieg der "Rinnsteinpflanze" und "herzlosen Rotznase" zur Lady und Herzogin wurde begleitet von anfangs noch kräftig wärmender Sonne, Schwalben im Tiefflug, Vogelgezwitscher und spät heraufziehenden Sternen.

Für das Stück spricht, daß man es immer wieder gern hört und sieht, sind nur die Interpreten einigermaßen. Hier in Tecklenburg ist mehr: Schon das Orchester unter der Leitung von Christoph Haas ließ durch Schwung und Feinheiten aufhorchen. Zur Ouvertüre gab es eine Kostprobe des achtköpfigen Balletts, hier der vier Blumenmädchen mit ausgesucht schönen Rüschenunterkleidern, das Erszébet Pálmai-Orosz auch später immer, wieder belebend in die Szene einfügte.

Regisseur Matthias Nowack, Spielleiter in Aachen, trat erstmals an die Stelle von Siegfried Grote, der als Intendant in Eutin durch Proben festgehalten war. Auch Nowack nutzt die Bühne zu farbenprächtigen Aufmärschen. Die Kostüme sind eine Freude für sich (Sigrid Holthaus). Ein Holzbau in der Mitte ist je nach Öffnung Theaterfront, Higgins Arbeitszimmer oder Kulisse der Rennen von Ascot, die akustisch recht wirkungsvoll über die gesamte Breite der Bühne ablaufen. Bei Öffnung und Schließung der Kulissen erwies sich übrigens - unter verständnisvollem Beifall - daß Schauspieler nicht unbedingt gute Bühnenarbeiter sind. Um das Boudoir von Mrs. Higgins anzudeuten, genügt ein Teetischchen mit Stühlen. Nowack holt immer wieder Szenen ganz nach vorn, wobei man sich fragt, wie den Musikern zumute ist, wenn, auf dem Bretterdach über ihren Köpfen getanzt wird. Gut herausgearbeitet, wie Higgins Eliza als, Sprechmaschine behandelt. und wie sehr Oberst Pickerings Achtung ihrer Persönlichkeit mehr bewirkt als alles phonetische Pauken.

Szenisch bewegt, doch unverkrampft wickelt sich das bekannte Spiel ab vom Traum des Blumenmädchens Eliza "wer dat nich wundascheen", mit des Müllwerkers Alfred P. Doolittle. Song "Als braver Mann ernährst du deine Kinder" und seinen umwerfenden Lebensphilosophemen, mit entnervenden Sprechproben und dem immer wieder wunderbaren Augenblick, wenn Eliza deutlich spricht "Es grünt so grün" zu Doolittles melancholischem Abgang zum Altar und Higgins hilflosem "Ich. bin gewöhnt am ihr Gesicht''.

Der Higgins von Michael Flöth ist ein erfahrener Higgins, nicht nur ein blendend aussehender Junggeselle, sondern einer, der präzis Akzente setzt und sich auch tänzerisch bewegen kann. Das gilt ähnlich für Sabine Schmidt-Kirchners Eliza Doolittle, schön ordinär zu Beginn und ganz Dame zum Schluß mit im Ausdruck reicher Stimme. Zwischen beiden vermittelt Oberst Pickering, hier liebenswürdig als leicht naiver, doch stets gentlemanlike handelnder Freund von Fred Banse dargestellt.

Einen Müllwerker Doolittle stellt Walter Hoffmann auf die Bühne - zwischen ordinär anbiedernder Aufdringlichkeit und verschmitztem Lebenskünstler. Christian Baumgärtel gibt dem lebensuntüchtigen, doch aufrichtig liebenden Freddy Eynsford-Hill ("In der Straße, mein Schatz, wo du lebst") gewinnend tappsig, Margarete Scheuer eine penible Mrs.,Higgins die doch das Herz auf dem rechten Fleck hat, Rolf-Dieter Lauper und Egon Klöntrup verkörpern gewandt das Doolittle sekundierende Freundespaar Harry und Jamie. Dietrich Becker, der auch die Raumgestaltung übernommen hat, wirft lautstark als Kneipenwirt alle drei aus seiner Schenke. Viele andere tragen noch zum lebhaft gefeierten Erfolg der fast dreieinhalbstündigen Aufführung bei. Manchen mag eine Melodie wie "Ich hätt' getanzt heut nacht" auf dem nächtlichen Heimweg begleitet haben.

Joh. Hasenkamp

 

Neue Osnabrücker Zeitung
vom 29.06.92

Eliza und Professor Higgins
bezauberten das Publikum

Freilichtbühne Tecklenburg : 2500 Zuschauer bei "My Fair Lady

Tecklenburg. "Es grünt so grün wenn Spaniens Blüten blühen." Wer kennt es nicht, das Lied der Eliza Doolittle aus dem Musical "My Fair Lady"? Unzählige Male versucht sie, die Sprachübung richtig zu machen. Doch kommt sie über ein "es grient so grien" zunächst kaum hinaus. Aber unverhofft klappt es plötzlich doch. Und der erste Schritt zur Lady ist geschafft. Die Blumenverkäuferin von damals wird Herrin über ihren Slang, gewinnt dank Professor Higgins eine neue Sprache, neue Sitten und ein neues Leben. Das Publikum der mit 2500 Besuchern ausverkauften Premiere von "My Fair Lady" auf der Tecklenburger Freilichtbühne wurde Zeuge dieser wundersamen Verwandlung.

Nicht weniger als dreieinhalb Stunden lang wurde die Freilichtbühne zum viktorianischen London. Tanz, Musik und Schauspiel bildeten eine faszinierende Einheit, die auch durch einige technische Unzulänglichkeiten nicht getrübt wurde. In den Rollen der Eliza Doolittle und des Henry Higgins verstanden es Sabine Schmidt-Kirchner und Michael Flöth, ihr Publikum zu begeistern. Überrascht vom plötzlichen Gelingen der phonetischen Übungen Higgins' mit Eliza tanzen beide singend über die Bühne. Das Publikum fällt klatschend in den Freudentanz mit ein.

[...]

An Ausdruckskraft mangelte es der Inszenierung dafür kaum. Herzzerreißende Szenen, Freude, Trauer und Wut langen meist nah beieinander. Da gelang den Ausführenden Großartiges. Ihre Spielfreude teilte sich den Premierengäste unmittelbar mit. Sabine Schmidt-Kirchner spielte die Rolle der Eliza mit großem Einfühlungsvermögen, bewährte sich als Blumenmädchen ebenso wie als Lady. Und Michael Flöth überzeugte als ihr unnachgiebiger Lehrer und Gebieter. Schon als Siebenjähriger hatte Flöth als Sohn von Wilhelm Tell auf der Tecklenburger Bühne gestandenen. Auch die Rolle des Professor Higgins spielte, er nicht zum ersten Mal.

[...]

Das Publikum spendete nach dreieinhalb Stunden anhaltenden Schlußbeifall.

Daniel Meier

Historisches